Stimmung

Der letzte große Absturz kam im Sommer, bis dahin ging es eigentlich. Das Leben war seit einigen Monaten umgestellt und klappte eigentlich ganz ordentlich. Angestellt mit Pendelei bedeutet, deutlich weniger Zeit für die Kinder, aber eben auch Kontakte außerhalb der Familie.

Durch die Pflegesituation und erheblichen Stress, der aber nur vier Wochen dauerte, stellte sich schnell eine akute Depression oder ein ordentlicher Burnout ein. Egal, wie das Problem benannt wird, Mamamotzt war in einem Tief. Trennte sich vom Freund, regelte die Pflege und versuchte, sich aufzurappeln.

Aber es gelang nicht.

Sie ging sogar freiwillig zu Ärzten. Das bedeutet, dass es ihr wirklich beschissen ging. Und die Ärzte sagten, was sie immer sagen: „Ändern Sie Ihr Leben, einen schönen Tag noch, tschüß!“

Und die Ärzte haben ja auch Recht. Denn es ist nicht organisch, das wurde immerhin festgestellt. Ein Mensch sollte froh sein, wenn er so tiptop gesund ist, wie Mamamotzt.

Ja, das ist sie. Sehr, sehr, sehr! Die Gesundheit ist das einzige, was sie hat.

Und trotzdem ist da noch immer diese Bleiweste.

Vielleicht mehr Sport? – Also wieder mehr Sport.
Nicht schlecht, zumindest solange, wie sie aktiv ist. Kaum beruhigt sich der Puls wieder, tut es die Laune auch.

Achso, die Frauenärztin riet zu Mönchspfeffer-Produkten, die auch eifrig angewendet wurden. Doch nach mehreren Monaten Einnahme hat sich effektiv nichts getan. Die anfängliche Euphorie ist komplett verpufft. Kann sein, dass es bei anderen wirkt. Aber bei Mamamotzt wirkt es nicht, wie so vieles. Offenbar. Außer Rotwein, und das ist keine Lösung.

Dann doch vielleicht Kopf? – Ja, was anderes bleibt ja auch nicht mehr.
Immerhin hat sie in der Zwischenzeit gelernt, dass sie extreme Bindungsängste hat und sich u.a. besser nicht auf Beziehungen einlässt. Die Ängste verschwinden weder durch Aussitzen noch durch wegscheuchen.
Und was an schlauen Beratern, Coaches oder sonstnochwas rumläuft: die können sicher eine Menge, aber da es ihr nicht liegt, sich darauf einzulassen, ist das kein Weg.

 

Niemand ist zu happy-go-lucky verpflichtet. Zum Glück. Und das ist die erleichternste Botschaft.

An Tagen wie heute, wenn sie an den Kindern sieht, dass sich ihre Verzweiflung und Unsicherheit schon sehr auf die Kinder übertragen haben, ist aber auch das nicht schön.

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Oh, diese fiesen Löcher!

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Und dann wollte sie einen weiteren Jammerbeitrag in die Welt entlassen. Aber es ändert sich dadurch nichts.

Einige Lebensstil-Änderungen hat sie probiert. Aber es war noch nicht der Stein der Weisen dabei. Entschleunigung, positives Denken und frauengesundheitfördernde Tropfen auf freundliche Empfehlung der Gyn (für Weiberscheiss gibt es natürlich kein Rezept, das könnense schön selbst bezahlen!), …

Also schreibt sie nichts.

Schönen Tag noch!

(Anm.: Das ist nicht von heute. Heute ist es schon wesentlich besser!)

Johannes Korten rüttelt auf

Das haut um. Hannes (mir nur als Johannes Korten, @jkorten und @glsbank inklusive Themen und Auftritte bekannt, aber nicht persönlich) hat es nicht mehr ausgehalten.

Er schrieb einen Abschiedspost, der manchmal nicht aufzurufen ist. Vielleicht überlastet, vielleicht gelenkt. Unwichtig.

Der Twitterlink:

 

Für mich war Hannes die Verbindung von sinnvoll (GLS Bank) und modern (Social Media). Super aktiv, Familienmensch, moderner Arbeiter.

Er hat es nicht ausgehalten.

Seinen Text las ich in der Früh, auf dem Weg zur Arbeit. Jedes Wort war mir mehr als 100 Prozent vertraut. Ich hatte das Gefühl, er wäre in meinem Kopf gewesen und hätte meine Gedanken niedergeschrieben. ABER: ich bin nicht am Ende, weil ich nicht aufgebe, solange ich verantwortlich für die Kinder bin.

Hannes musste das am Ende. Seine Verzweiflung muss enorm gewesen sein. Sonst hätte er das nicht gemacht.

Was machen andere, die solche Gedanken haben?

Seit Jahren habe ich Depressionen, ich weiß schon viel drüber, viel über mich und unser trautes Zusammenleben, ich habe einiges versucht, nichts hat geholfen. Weil …
…. keine Ahnung.

Auf die Frage von @tollabea (Bea Beste)

 

antworte ich hier. Denn Bea hat mir schon vor zwei Jahren sehr geholfen, via Twitter. Auch damals hing ich einem tiefen Loch. Sie malte Sonnenbilder für mich. Vergesse ich nie! :- )))
Die große Unternehmerin, die mich gar nicht kennt, nimmt mich wahr.
Das hat mir extrem gut getan, ich fühlte mich als Mensch gewertschätzt. (Nicht als Mutter, nicht als Tochter, nicht als Arbeitnehmerin, die müssen nämlich immer alles ihren Rollen entsprechend erfüllen.)

Mein Leben beenden werde ich nicht. Weil ich Kinder habe.
Was sonst wäre, kann ich nicht sagen.
Es gibt viel mehr Tage, an denen ich lieber nicht mehr da wäre, als ich da bin. Das Leben ist zäh, grau, freudlos, eine wahnsinnige Kraft- und Willensanstrengung.

Ich weiß, dass es bei mir eine Mischung aus Überlastungsdepression (alleinerziehend, drei Kinder, kein Unterhalt und kein Umgang, seit Jahren massive Existenzsorgen, dazu Pflege schwerstkranker und problematischer Angehöriger) und weiblichen Zyklusproblemen ist. Die Zyklusprobleme alleine sind schon furchtbar, und es ist auch schlimm, dass ich gerade mal die Hälfte meines Lebens brauchte, um den Zusammenhang zu erkennen.

Hätte ich keine Kinder, wäre ich schon so manchen Tag nicht mehr aufgestanden, und auch einen nächsten nicht, und gar nicht mehr. Einfach liegenbleiben.
Alles fühlt sich nur unsinnig, unwichtig, leer, belanglos an. Ob man selbst noch aufsteht oder nicht, es ändert doch nichts.

Bislang schlimmstes

Das schlimmste, was ich bisher in schlechten Phasen tat, ist mich kürzlich in einer Kurzschlussreaktion vom #Freund zu trennen. Ich sah kein Licht mehr, habe keine Lösungsstrategien, bin leer. Zurück blieb ein verstörter, völlig verletzter und überraschter Mensch. Es tut mir unvorstellbar Leid!
Anders konnte ich aber nicht.

Es ist für uns ohnehin der allerletzte, einzige Weg, den wir sehen, wenn wir dummes Zeug machen. Alles andere haben die meisten von uns (resümiere ich jetzt mal aus Hannes Worten, angelesenem und persönlichen Erfahrungen) doch längst ausgehalten. Ausprobiert. Verdrängt.
Wenn wir vermeintlich irrational werden, so ist das, was wir tun, die uns einzig möglich erscheinende  Lösung, weil alles andere noch schlimmer wäre, andere schlimmer träfe als uns (das wollen wir auf keinen Fall!), noch mehr Chaos produzieren würde.
Wir glauben, dass mit unserer Lösung alle anderen einen glatten Übergang haben, weitermachen können, wie und was sie immer gemacht haben, wir sie in Frieden lassen. Ihnen ihr Leben lassen.

Das zweitschlimmste, was ich regelmäßig tat/tue: ich habe gute Aufträge abgesagt, immer wieder, Versagensangst, obwohl das Wohl meiner Kinder direkt von meinem wirtschaftlichen Erfolg abhängt. Das hat blöderweise die Existenzangst nicht besser gemacht, keineswegs. Das Geld fehlt direkt.

Aufstehen werde ich jeden Tag immer wieder, weil die Kinder mich brauchen. Auch, wenn es mir leid tut, was für eine Mutter sie haben. Voller Sorgen, Angst, kalt, abgewandt, in sich gekehrt. Meistens.

Meistens

Meistens ziehe ich mich in schweren Phasen einfach zurück, weil ich sehr ruhebedürftig bin. Mag niemanden sehen (außer den Kindern, zwangsweise und natürlicherweise) und setze alle Kraft ins Funktionieren.

Zum Glück habe ich jetzt einen TZ-Job, der die wichtigsten Fixkosten deckt. Das nimmt extrem viel Last.

In schweren Phasen will ich nicht vor anderen in Tränen ausbrechen, weil ich mich für den minderbemittelsten aller homo sapiens halte. Für lebensunfähig und vieles mehr. Alleine sein. Das reicht. Aber das möchte ich auch respektiert wissen. MIR langt das, anderen vielleicht nicht.
In schlimmen Phasen weiß ich nicht mehr, wie man eine Tür aufschließt, wie ich heiße, was man nach dem Aufstehen als erstes macht und vieles mehr.

Die ganze Kraft ins Funktionieren, damit nicht auffällt, wie schlecht es ist.

Diesmal esse ich übrigens. Einmal ließ ich das, weil es nicht schmeckte, ich es vergass oder für nicht wichtig hielt.
Chips und Wein retten die Kilos. Und Eis.

Ich will in schlechten Phasen auch nicht zum Arzt, der mir eventuell Antidepressiva verschreibt, die überhaupt nicht anschlagen. Der mir ankündigt, dass ich ohne Psychotherapie gar keine Tabletten bekäme. Der mich auf jahrelange Wartelisten setzt. Der mir: nicht helfen kann.

Ich will in schlechten Phasen auch nicht zu Psychiatern, die mir sagen, dass ich mein Leben ändern muss, damit sich mein Zustand bessert. Denn ich weiß ja, dass die Umstände bescheiden sind. Aber ich sehe keinen Ansatz, etwas zu ändern, ohne andere vor den Kopf zu stoßen, nur damit es mir vielleicht „besser“ geht.
(Das ist übrigens ein großer Teil unseres Problems, „die anderen zuerst“.)

Mein Leben kann ich derzeit nicht ändern, ohne dass ich komplett zerbreche! Ich kann weder Geld/Unterhalt herbeizaubern, noch die Kinder wegzaubern, auch einen alten, kranken Menschen kann ich nicht im Stich lassen und verhalte er sich mir gegenüber noch so fies, meiner Seele würde das „im Stich lassen“ viel mehr schaden, als es die täglichen Auseinandersetzungen und der  Stress tut.

Ich hätte auch sehr gerne weiter geliebt, aber die Kraft fehlt, mich in ein weiteres Herz zu fühlen und mit ihm mitzuschwingen.

Mein Emotionshaushalt ist aus dem Lot. Mehr geben, als zurück kommt. Seit vielen Jahren.
Ein Trostbier, ein Trostbuch, eine Trostschokolade helfen schon lange nicht mehr.

Unsinnige Tätigkeiten verrichten, was leider oft passiert, frustriert sehr. Vorwärts möchte ich. Nicht auf der Stelle treten und dabei das Schlammloch unter den Füßen immer tiefer treten, zu einem Morast machen, in dem man schließlich versinkt.

Wünsche

Meine Ruhe will ich. Schlafen. Tagelang am Stück, denn ich bin müde. Bleischwer müde vom Nichtstun.

Sonst nichts.

Man nennt es wohl Depression. Traurig bin ich nicht. Zumindest eher selten.
Leer. Stumpf. Hohl. Neblig.
Traurig bin ich nur ganz selten, wenn ich mal wieder um ein Leben bange und Angst vor dem „danach“ habe.

Es wäre schön, wenn ich einfach so leben dürfte. Mir reicht das ja, ich finde es eine akzeptable Lebensform.

Aber mit Kindern ist es nicht so schön.

Und ich weiß, dass ich auch mal ein übermäßig bescheuert-lustiger Mensch war. Voller Flausen, kreativ, sinnesfroh und vieles mehr. Ich brauche das gar nicht zurück, aber für die Kinder würde ich es mir wünschen.

Fand ich vorher schon meine „Probleme“ ziemlich belanglos, so sind sie es jetzt noch umso mehr, mit den vielen Flüchtlingen aus kaputten Familien in zerbombten Häusern. Wenn jemand wirklich hilfsbedürftig ist, dann sie.
Und schon gehe ich wieder nicht zum Arzt etc.
(Eine Aversion gegen Ärzte und Medikamente habe ich leider auch erworben, eine Folge der Pflege. Keine schlechten Erfahrungen, aber einfach viel zu viel davon.)

Schalter umlegen

Manchmal stehe ich auf und es ist ein überraschend anstrengender Tag. Das Bett würde ich, wenn ich es schon verlassen muss, am liebsten mittags schon wieder beziehen, ab 17 Uhr gibt es keine Alternative mehr.

Und an manchen von diesen Tagen legt sich ohne Wollen ein innerer Schalter um und ich frage mich, was gerade noch so schwer war!
Von der Wirkung vergleichbar mit Kaffee am Morgen: auf einmal geht´s, auf einmal geht das Leben wieder.

Das sind interessante Momente, die aber auch zweifeln lassen. Wie kann das sein?! Vormittags kraftlos und leer, alles scheißegal, und nachmittags voller Tatendrang und Lebensfreude?

Was mich Hannes gelehrt hat

Über seinen Gesundheitszustand kann ich mir nur einiges zusammenreimen. Aber entweder war da etwas stärker als er oder er hat etwas unterschätzt oder man hat es nicht so im Griff, wie wir denken. Ich zumindest denke, ich weiß, wie es um mich steht und dass es nicht rosig ist, aber dass auch keine Leben in Gefahr sind.

Als vergleichbar bewussten und bemühten Menschen nehme ich Hannes Abschied ernst. Sehr ernst! Ich gestehe, dass ist das allererste mal!

Bislang durfte meinetwegen jeder machen, was er wollte, solange er anderen nicht schadete. Kiffen, sich von Brücken in den Tod stürzen, nerven, ruhig sein, was auch immer.
Nur kurz hielt ich inne und machte weiter. Alltag.

In Hannes erkenne ich einen Bruder im Geiste, und das berührt mich.
Endlich.
Möchte ich wohl sagen.

Ich möchte nicht irgendwann keinen Ausweg mehr sehen, ich möchte nicht so verzweifeln wie er, ich möchte niemals meine Brillanten aus eigenem Willen alleine lassen.

Ich werde den Termin beim Arzt wahrnehmen und nicht wieder absagen. Wie schon so oft zuvor.

Und ich hoffe, dass die Erleichterung durch das Schreiben nicht gleich zu leichtsinnig werden lässt.

 

Geschrieben in der ich-Form, weil es so wichtig ist.